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TSV Vaterstetten e.V. - Leichtathletik

Leichtathletik für Wettkämpfer, Leistungssportler und Freitzeitathleten

27.10.2016

"Ich habe noch eine Rechnung offen"

von Christian Töpfer

Gerhard Zorn fährt zur Senioren-WM nach Australien – Update: mit Live-Stream aus Perth!

Als einziger Teilnehmer aus der starken Senioren-Gruppe des TSV Vaterstetten wird Gerhard Zorn an der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Perth teilnehmen. Vor dem Saison-Höhepunkt hat er über seine Motivation, seine Ziele und seine Konkurrenz gesprochen.

"Dass bin ich im vergangenen Jahr WM-Vierter über 400 Meter geworden bin mit 0,07 Sekunden Rückstand auf den Dritten, ärgert mich heute noch": Gerhard hat noch eine Rechnung offen. (Foto: Christian Töpfer)

Gerhard, du wirst an der Leichtathletik-WM der Senioren im australischen Perth vom 26. Oktober bis zum 6. November teilnehmen. Kribbelt es schon?
Ich hab mich schon sehr früh entschieden, nach Perth zu fahren und deswegen die gesamte Saison darauf ausgerichtet. Natürlich kribbelt es, je näher der Termin rückt. Dann werde ich sehen, ob ich die antrainierten PS auf die Straße bringe und ob im Wettkampf alles klappt, wie ich es mir wünsche.

Warum nimmst du die weite Reise auf Dich? Es ist ja nicht deine erste WM-Teilnahme.
Das stimmt, an einer Stadion-WM habe ich 2009 in Finnland und 2015 in Frankreich teilgenommen. In Finnland bin ich über 100 Meter Dritter geworden, allerdings erst ein paar Monate nach der WM, weil der Erste wegen Doping disqualifiziert wurde. Letztes Jahr bin ich ohne große Erwartungen nach Lyon gefahren, es war eher Urlaub. Dann bin ich im 400-Meter-Lauf Vierter geworden, mit 0,07 Sekunden Rückstand auf den Dritten. Das ärgert mich heute noch, weil ich ohne große Erwartungen in das Rennen ging und auch noch taktisch falsch gelaufen bin. Was WM-Teilnahmen betrifft, habe ich also noch eine Rechnung offen.

Wie viel Zeit wirst du dir nehmen, um dich in Perth zu akklimatisieren? Wie versuchst du, die Reisestrapazen wegzustecken?
Da hat man als Berufstätiger leider nicht viele Freiheiten. Ich werde nach meiner Ankunft einen freien Tag haben, an dem ich alles rund um die Wettkampstätten erkunden kann. Am Tag darauf ist dann schon der 100-Meter-Vorlauf. Von den 100 Metern erwarte ich mir nicht viel, da habe ich eigentlich nur gemeldet, um den Wettkampfbetrieb kennenzulernen und mich akklimatisieren zu können. Das wird zeitlich sicherlich nicht ausreichen, um den Jetlag zu überwinden, aber diesmal sind halt wir Europäer dran.

Welche Schwierigkeiten könnten dich vor Ort sonst noch erwarten?
Die regelmäßige Nahrungsaufnahme. Das hört sich trivial an, ist aber ein echtes Problem. Gerade Umfang und Qualität des Frühstücks unterliegen ziemlichen kulturellen Schwankungen. Mit zuckerhaltigen Industrieerzeugnissen braucht man nicht in einen Wettkampftag zu starten. Auch die anderen Mahlzeiten muss man sehr bewusst wählen und zum richtigen Zeitpunkt zu sich nehmen. Für einen 400-Meter-Lauf ist es zum Beispiel ideal, etwa vier bis fünf Stunden vorher eine kohlenhydratreiche Mahlzeit zu essen. In Europa würde ich da ein Nudelgericht in einem italienischen Restaurant wählen. Ob mir das in Perth gelingt, weiß ich noch nicht. Die Finalläufe sind für den frühen Nachmittag angesetzt, zu nahe an der üblichen Zeit für ein Mittagessen. Ich müsste also früher essen. Aber ob man in Perth schon um 10 Uhr Mittagessen bekommt? Das muss sich alles irgendwie finden.

Wie bist du derzeit in Form, wie verlief die Saison?
Die Saison verlief bisher sehr gut. Ich konnte meiner Sammlung weitere Titel in Deutschland hinzufügen. Im Hintergrund war aber immer der Gedanke an die WM und die Optimierung des Trainings dafür. Normalerweise geht unsere Saison spätestens im August zu Ende. Eine Verlängerung bis Mitte November muss man körperlich erst mal bewältigen. Auch psychisch ist es anspruchsvoll, so lange diszipliniert bei der Sache zu bleiben.

Du wirst über 100 Meter, 200 Meter und 400 Meter starten. Was hast du dir vorgenommen? Über welche Strecke erhoffst du dir die besten Chancen?
Mein Ziel ist es, überall ins Finale zu kommen. Über 100 Meter werde ich das wohl nicht schaffen, über 200 Meter erwarte ich es von mir und über 400 Meter möchte ich vorne mit dabei sein. Und am liebsten am Ende auf dem Stockerl stehen.

Du bist in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden und damit in die höhere Altersklasse aufgerückt, die M60. Somit läufst du gegen bis zu 64-jährige Konkurrenten. Ein Vorteil, oder?
Na klar, ist das ein Vorteil, wenn auch "nur" ein statistischer. Es gibt nämlich auch noch Teilnehmer mit 63 oder 64 Jahren, vor denen ich mich in Acht nehmen muss. Da ist zum Beispiel Steve Peters, im Hauptberuf Teamarzt des britischen Radsportteams bei Olympia (und Betreuer von Bradley Wiggins), der über 100 Meter und 200 Meter absoluter Favorit ist. Im Gegenzug habe aber auch ich letztes Jahr über die 400 Meter die neu aufgerückten Teilnehmer der M55 „gekitzelt“, so dass ein 55-Jähriger Amerikaner, der das Finale verpasste, sagte: "Ist ja super, dass du in deinem Alter noch in ein Finale kommst."
 
Was weißt du sonst über deine Konkurrenz?
Natürlich kenne ich die meisten Mitbewerber und weiß auch, was sie können, auch wenn immer wieder mal ein neues Gesicht dabei ist. Wenn da zum Beispiel ein Teilnehmer aus Trinidad-Tobago ohne Meldezeit in der Meldeliste auftaucht und man den nicht kennt, fragt man sich natürlich, ob das vielleicht ein ehemaliger Profi ist oder ob der nur zum Spaß nach Australien fährt. Zudem verbirgt sich im gemeldeten Feld auch noch der eine oder andere Rückkehrer, der ebenfalls die Vorteile der neuen Altersklasse nutzen möchte, wie David Elderfield aus Großbritannien – ein Sprint-Experte, der aber nur für die 400 Meter gemeldet hat. Das wird spannend, bisher habe ich gegen ihn immer verloren. Aber für alle gilt: Sie müssen erstmal gut durch die Saison kommen und auf den Punkt topfit sein.

Und am letzten WM-Tag wirst du vermutlich noch in den deutschen 4x100- und 4x400-Meter-Staffeln laufen.
Für die 4x400-Meter-Staffel haben wir Deutschen uns bereits bei der letzten WM verabredet. Da wollen wir sehen, ob wir den Amerikanern und den Briten Paroli bieten können. Leider haben wir schon einen verletzungsbedingten Ausfall im Team, so dass es vermutlich nichts mit der Jagd auf Europa- oder Weltrekord wird. Aber vielleicht klappt das dann im nächsten Jahr bei der EM in Dänemark.

(Die Fragen stellte Christian Töpfer.)

Gerhards Ergebnisse können hier während der WM verfolgt werden.
Über einen Live-Stream kann man alle Wettkämpfe verfolgen.


"Normalerweise geht unsere Saison spätestens im August zu Ende. Eine Verlängerung bis Mitte November muss man körperlich erst mal bewältigen": Gerhard hat seine ganze Saisonplanung auf die Senioren-WM ausgerichtet. (Foto: Christian Töpfer)