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TSV Vaterstetten e.V. - Leichtathletik

Leichtathletik für Wettkämpfer, Leistungssportler und Freitzeitathleten

05.11.2016

WM-Gold über 400 Meter

von Christian Töpfer

Gerhard Zorn triumphiert in Australien (mit Update)

Nach Bronze über 100 Meter und Silber über 200 Meter vervollständigte Gerhard Zorn vom TSV Vaterstetten seine Medaillensammlung bei der Senioren-WM in Australien. In einem beeindruckenden Rennen ließ er alle Konkurrenten hinter sich und gewann in 55,03 Sekunden die Goldmedaille.

Gerhard Zorn ist neuer Weltmeister in der Altersklasse M60 über 400 Meter. (Archivbild)

Die Vorläufe und Halbfinalläufe hatten gezeigt, dass für den Sieg über 400 Meter in der Altersklasse M60 nur Gerhard oder der Brite David Elderfield in Frage kommen würde. Beide hatten sich mit den mit Abstand besten Zeiten für das Finale qualifiziert. Doch das Finale selbst wurde dann eine überraschend einseitige Angelegenheit.

Gerhard war schon nach 150 Metern am Briten Elderfield, der direkt die Bahn vor ihm hatte, vorbeigezogen. Er wollte schon früh für klare Verhältnisse sorgen. Die Kraft in seiner Paradedisziplin reichte locker aus, der Brite kam nicht mehr heran, am Ende lief Gerhard mit einem riesigen Vorsprung von über 1,5 Sekunden ins Ziel.

Und hier sind Gerhards Schilderungen aus Perth:

"Nun ist es also geschafft, die Serie ist komplett und der Medaillensatz auch. Der Tag begann mit den angekündigten hohen Temperaturen sowie einem weiterhin heftigen und nicht angekündigten Wind.

Gestern zum Semifinale hätte man sich das erste Mal im T-Shirt, aber immer noch in langer Hose aufwärmen können, heute mussten es T-Shirt und kurze Hose sein. Das Aufwärmen ist bei Temperaturen über 30 Grad unangenehm. Aber bei der letzten EM in Izmir und sogar bei der vorletzten EM in Deutschland (Zittau) hatte es auch immer über deutlich 30 Grad gehabt und meine Ergebnisse waren gut. Sprinter lieben eigentlich heißes Wetter, wenn nur das Aufwärmen nicht wäre.

Wir fanden uns also alle nach dem Aufwärmen schwitzend im Call Room ein, absolvierten die übliche Anmeldeprozedur und warteten darauf, aufgerufen zu werden. Wir wurden vor der Tribüne entlang geführt, konnten noch die letzten Wünsche aus den Zuschauerrängen mitnehmen und mussten dann in einem zweiten Zelt nahe dem Start nochmal zehn Minuten warten.
Schließlich war es soweit und wir durften auf die Bahn. Schnell nochmal ein kurzer Sprint, dann den Startblock einstellen und dann darauf warten, dass man hinter den eigenen Startblock gerufen wird. Ab da wird es ernst. Der Start klappte problemlos.

Ich hatte bei diesem Lauf den Briten David Elderfield auf der Bahn rechts von mir, also außen und damit auch mit zwei Kurvenvorgaben vor mir. Ich konnte daher sehen, was er macht und wie er läuft. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich nur Elderfield schlagen musste, um das Rennen zu gewinnen.

Für mich hatte sich vor dem Rennen die Frage gestellt, mit welcher Taktik ich laufen sollte. Als Variante 1 hätte es die Aufstellung mir erlaubt, schnell anzulaufen und möglichst rasch zum Briten aufzulaufen. Wenn ich ihn nach 100 bis 150 Metern schon eingeholt hätte, dann hätte er ein echtes Problem, denn der Weg durch die Zielkurve ist auf der Außenbahn länger, er müsste also dort schneller laufen als ich – zu einem Zeitpunkt, an dem die Kräfte bei allen Läufern schwinden.

Andererseits weiß ich aus meinen Trainingsläufen, dass man bei zu schnellem Anlauf über die ersten 200 Meter gegen Ende der 400 Meter furchtbar eingehen kann und sich kaum mehr vorwärts bewegt, weil die Muskeln einfach nicht mehr gehorchen. Auch habe ich in meinen Trainingsläufen erfahren müssen, dass die erreichbaren Endzeiten bei dieser Laufeinteilung im Vergleich zu einer anderen Laufeinteilung deutlich abfallen können.

Die zweite Lauftaktik wäre gewesen, unabhängig von der Konkurrenz wie im Training zu laufen, wo ich dieses Jahr manchmal, aber leider nicht beständig, sehr gute Zeiten erreicht hatte. Wenn ich gewusst hätte, wie schnell David Elderfield bestmöglich laufen kann (und das hinter meinen Erwartungszeiten gewesen wäre), dann hätte ich ein relativ risikoloses Rennen laufen können. Aber auch bei den Senioren wird gepokert, nicht nur im Vorlauf und Semifinale wird Understatement getrieben, sondern auch in den Gesprächen zwischendrin.

Faktisch gab es von Elderfield schon seit längerer Zeit keine aktuellen Resultate über 400 Meter mehr, manche Leute behaupten, er würde unter anderem Namen laufen. Er selbst meinte zu mir vor dem Rennen, er wäre vor Monaten das letzte Mal die 400 Meter gelaufen, im Wesentlichen wegen gesundheitlicher Probleme im Knie und in der Wade. Außerdem wäre er nur in Perth, weil er die kostenlose Stornierung seines Hotels um vier Stunden verpasst hatte. Das hört man sich an und denkt sich, dass das weder ihn noch mich schneller oder langsamer macht.

Aber weil ich mir nicht vorstellen wollte, dass er in schlechter Form antritt und ich nicht wusste, wie schnell er tatsächlich laufen kann, habe ich die Variante 1 gewählt. Ich entschied mich also, ihn im Lauf schnell anzugreifen und habe die risikoreiche Variante gewählt.

Als ich also nach dem Startschuss merkte, dass Elderfield kontrolliert anlief, drehte ich voll auf und hatte ihn schon nach 150 Metern hinter mir gelassen. Ab da ging es für mich nur noch darum, die Geschwindigkeit möglichst lange hoch zu halten und zu hoffen, dass ich bis zum Ende durchhalten würde. Nach der Hälfte der Strecke steht eine Zeitanzeige und ich glaube, meine 200-Meter-Durchgangszeit war trotz des Gegenwinds auf der Gegengerade deutlich unter 26 Sekunden – da wusste ich, dass es kritisch werden würde.

Die kommenden 100 Meter konnte ich noch einigermaßen bewältigen, aber nach 300 Metern wünscht man sich eigentlich, aufhören zu dürfen. Beruhigend war nur, dass ich auf der Außenbahn nicht die Schritte hören konnte, mit denen ich eigentlich rechnen musste. Bis dahin war mein Plan also aufgegangen.

Die letzten 100 Meter beim 400-Meter-Lauf sind nie schön und wenn man so schnell angelaufen ist wie ich, weiß man, dass jetzt noch alles in die Hose gehen kann. Irgendwann kann der Körper einfach nicht mehr. 20 Meter vor dem Ziel merkte ich, wie ich dramatisch an Geschwindigkeit verlor und die Füße zu wackeln anfingen. Ich hatte die Sonne im Rücken, meinen eigenen Schatten vor mir und wartete nur darauf, auf der Nebenbahn einen weiteren Schatten auftauchen zu sehen. Ich hätte nur zum großen Display im Stadion aufblicken müssen, um zu sehen, dass ich einen großen Vorsprung hatte. Aber das kam mir nicht in den Sinn. Die letzten 20 Meter waren irgendwann vorbei und vermutlich bin ich einen Meter hinter der Ziellinie stehen geblieben.

Das war jetzt also mein erster Weltmeistertitel in einer Einzeldisziplin. Ich war nach diesem Rennen ziemlich fertig, aber das Seltsame am 400-Meter-Lauf ist, dass sich das sehr schnell wieder legt. Nur als es dann ca. 20 Minuten später bei der Siegerehrung zum Singen der Nationalhymne ging, hat sich die Sauerstoffschuld bei mir immer wieder bemerkbar gemacht."

--> Hier geht's zu den Berichten über Gerhards Läufe über 100 Meter und 200 Meter.

Souverän und ungefährdet: Gerhard Zorn ließ den anderen Läufern über 400 Meter in Perth keine Chance.