Erinnerungen an Guido Müller von Hermann Beckering

Wie lernte ich Guido Müller kennen?

Bevor ich mit 65 Jahren zum Leistungssport der Senioren kam, war Guido Müller für mich kein Begriff. Aufgewachsen in Norddeutschland, verschlug es mich 1966 nach meinem Studium der Elektrotechnik ins Frankenland. Von meiner Jugendzeit an habe ich zwar Leichtathletik-Sport auf regionaler Ebene betrieben. Der Schwerpunkt meiner sportlichen Aktivitäten lag jedoch im Bereich der Schüler- und Jugend-Trainertätigkeit, die ich heute noch ausübe. Ein Zufall war der Anlass, nach intensivem Training, 2004 an der Europameisterschaft in Aarhus, Dänemark, teilzunehmen. Überraschenderweise erreichte ich nach den Vorläufen und Zwischenläufen über 100 m das Finale.

Im Call-Room vor dem 100-m-Endlauf saßen wir acht Athleten stillschweigend auf unseren Stühlen, bis plötzlich zwei Athleten, etwas abseits, sich lautstark auf italienisch unterhielten. Als Newcomer in dieser Szene fragte ich einen neben mir sitzenden Athleten nach der Ursache für diese unangenehme und laute Unterhaltung. Ich bekam die Antwort: „Das sind Guido Müller und Tristano aus Italien, die unterhalten sich, wer Erster oder Zweiter im Endlauf wird.“ Da war mir klar, die ersten beiden Plätze im Endlauf bereits vergeben sind – und Guido Müller wurde mir somit ein Begriff.

In den folgenden Jahren lernten Guido und ich uns bei den verschiedenen nationalen und internationalen Wettkämpfen näher kennen, denn er zeigte mir bei all den Läufen seine Hacken und ich bekam den Titel: „Erster nach Guido Müller“ – das galt als eine hohe Auszeichnung. Guido war zwar mein größter Konkurrent, aber wir waren sehr gute Freunde über all die Jahre.

Während der Wettkämpfe waren Guido und ich getrennte Freunde beim Einlaufen ,da sich jeder auf den Wettkampf konzentrierte. Dagegen gestalteten sich die Abende in geselliger Runde mit unseren Frauen und weiteren Sportsfreunden zu unvergesslichen Highlights – mit regen Diskussionen, insbesondere wenn es sich um die Religionen handelte, Helgas Lieblingsthema. Guido, meine Frau und ich waren bzw. sind praktizierende aktive katholische Christen, während Helga, Guidos Frau, praktizierende aktive evangelische Christin war. Helga war stark und überzeugend in ihren Argumenten bezüglich der kirchlichen Geschichte beider Religionen und Guido war dankbar, dass meine Frau und ich ihm bei seinen Argumenten und Rechtfertigungen stark unterstützten.                                                  

Wie es so üblich ist, haben starke Personen wie Guido auch Schwächen. Selbst seine Frau Helga mit ihrem großartigen Organisationstalent hat es häufig nicht geschafft, dass Guido rechtzeitig im Call-Room erschien. Guido war fasst immer der Letzte, der im Call-Room erschien und dass in sehr vielen Fällen zu spät. Das rief bei den teilnehmenden Athleten einen gewissen Unmut hervor. Selbst der Oberkampfrichter, der zum Start aufrief, drohte oft mit einer Streichung seiner Teilnahme an den Läufen, was ich häufig verhindern konnte mit dem Hinweis: Guido Müller ist vor Ort, er kommt sicherlich umgehend. Mit einem klaren und deutlichen Appell an Guido, was ich mir bei ihm als Freund erlauben durfte, wurde diese „Macke“ endgültig beseitigt – zur Freude von Helga.

Helgas Organisationstalent war ein Glücksfall für Guido. Sie organisierte die Wettkampf- und Reisevorbereitungen, steuerte Guido durch die Wettkämpfe, damit er rechtzeitig am Start war und vor allem, dass er seine Spikes bei sich hatte. Aus meiner Sicht möchte ich sagen, dass Helga einen sehr großen Anteil an Guidos sportlichen Erfolgen hatte.

Es ließen sich noch viele Anekdoten von Guido erzählen, die ihn in seiner Art unvergesslich erscheinen lassen, die aber in meinem Herzen einen ewigen Platz gefunden haben.

Heute sind wir alle da, um von Guido Abschied zu nehmen. Bei seinem letzten Wettkampf, der Deutschen Leichtathletik-Seniorenmeisterschaft im Sommer 2019 in Leinefelde, Thüringen, zeichnete sich sein körperlicher Abbau bereits stark an, als er humorvoll erzählte: „Da kamen heute mal andere zum Zug!“ Da ich aus Gründen einer Verletzung damals nicht starten konnte, teilte Guido mir einige Tage später mit: „Das war mein letztes Rennen, meine Ära geht zu Ende, ich glaube, den richtigen Zeitpunkt nun gefunden zu haben, dem Leichtathletik-Seniorensport Ade zu sagen.“ Das war immer seine Sorge gewesen, diesen Zeitpunkt rechtzeitig zu finden.

Ich habe eine längere Zeit gebraucht, um diesen Entschluss zu verarbeiten. Die Zeit mit Guido war und ist ein Stück meines Lebens. Sein Ableben hat mich tief getroffen und schmerzt sehr. Danke Guido für eine unvergessliche Zeit mit Dir und Helga.“

Hermann Beckering, Seniorensportler, SpVg Ahorn